Natürlich politisch? Anmerkungen zur Kunst von Gerta Fietzek-Kröll aus dem Katalog zur Ausstellung "Harvest" 2003
Dr. Gert Fischer, Stadtmuseum Siegburg
In der Kunst der Gegenwart geht alles. Das ist trivial und wahr — im Guten und manchmal auch im Schlechten. Dennoch gibt es natürlich Hauptlinien, von denen abzuweichen zu Minderheitenpositionen führt. Die Wesentlichste dieser Hauptlinien ist die Betonung der Autonomie des Kunstwerks. Als Äußerung individuellen künstlerischen Schaffens steht es für sich, mag interpretierbar und erklärbar sein, braucht eine solche Einbindung in sinnhafte Zusammenhänge aber nicht als Voraussetzung. Eher im Gegenteil: Wo die Einordnung allzu leicht fälbel'lt, kommt der Verdacht auf, dem Kunstwerk gehe etwas Wesentliches ab. Wo sich eine kunsthistorische Schublade zu leicht aufziehen lässt, steht das dort hineingehörende Werk möglicherweise im Verdacht mangelnder Originalität. Wo man sich Themen nähert, die schon die Künstler vergangener Zeitalter interessiert haben, droht die Vermutung der Rückwärtsgewandtheit. Und wo es schließlich einen Beitrag zu politischen Fragestellungen zu leisten scheint, da kommt die Befürchtung auf, es werde zum Instrument. Und jenseits dieser Linie tun sich dann Abgründe auf. Die Sorge der Unbeteiligten wird groß: Rutscht das Kunstwerk ins Dienende? Wird es illustrativ oder gar ornamental? Wer auf der sicheren Seite bleiben will, der meide dieses Gelände! Er beharre auf der Zweckfreiheit seiner Kunst.
Gerta Fietzek-Kröll tut das nicht. Natürlich gibt es auch zu ihren Arbeiten einen vom Betrachter frei wählbaren Zugang. Wo wäre das in der Kunst nicht der Fall? Und natürlich lässt sich ihr Werk auch ausschließlich ästhetisch rezipieren. Wer diesen Weg wählt, erlebt Gerta Fietzek-Kröll als Künstlerin, die ihr Material in der Natur findet; und zwar sowohl in der Flora als auch in der Fauna. Offensichtlich geht es ihr dabei nicht um einzelne Elemente, die aus sich heraus einen ästhetischen Reiz besitzen. Vielmehr ist das, was sie aus der Natur gewinnt, Rohmaterial, das sie dann zu komplexen Kunstwerken zusammenfügt. Dabei ist der Übergang vom transportablen »Bildwerk« zur Installation fließend. Äste und Blätter, Wolle und Wachs, Samenkapseln und tote Bienen — all das wirkt nicht in erster Linie aus sich heraus, sondern ist Rohmaterial, das die Künstlerin in einen weiteren Zusammenhang einbindet. Der gemeinsame ästhetische Nenner der Materialien ist ein Element des Verfalls. Da ist nichts Grünes, nichts Lebendiges, da sind im Wesentlichen Reste und Schatten. Die Bienen sind tot, die Wolle ist dem Schaf abgeschnitten, die Äste sind vertrocknet, die Samen werden nicht mehr sprießen. Die Natur ist grau und braun, und dennoch übt sie eine merkwürdige Faszination aus. Trotz aller Anzeichen des Verfalls hat die Kunst von Gerta Fietzek-Kröll eine haptische Qualität. Nicht alles möchte man gerne anfassen, aber anfassen möchte man es schon.
Aber jenseits des ästhetischen Zugangs ist die Kunst von Gerta Fietzek-Kröll inhaltlich eingebunden; und zwar gleich zweifach. Der Künstlerin geht es um ein uraltes Problem der Kunst, und es geht ihr auch um Politik.
Die kunsthistorische Fragestellung ist die nach dem Miteinander oder Gegeneinander von Kunst und Natur. Das Mittelalter mit seinem einheitlichen Weltbild hat einen solchen Gegensatz nie empfinden können. Hier war alles Ausfluss eines göttlichen Plans, den es zu illustrieren galt. Die Trennung zwischen dem Individuum, also dem Künstler, auf der einen Seite und der zu beobachtenden, sozusagen außen liegenden Natur auf der anderen kam nicht vor. Mit der Renaissance hat sich das geändert. Die reale Welt vor den Augen des Individuums verselbstständigte sich, der Künstler beobachtete sie, setzte sich mit ihr auseinander, bildete sie ab und begann über die Frage nachzudenken, ob eine solche Abbildung überhaupt möglich sei. Es gehört zum Credo der Moderne, dass die Antwort nein zu lauten habe. Auch die Meisterung aller technischen Probleme, die Entwicklung der Malerei zur absoluten Perfektion, könne die Trennung zwischen dort Natur und hier Kunst nicht aufheben. Die Überwindung des Grabens kann, so unser modernes Verständnis, nur gelingen, wenn die Essenz des Abgebildeten im Kunstwerk auftaucht — nicht als äußere Form, sondern als innerer Kern.
Eine andere Brücke kann in der Verwendung »natürlicher« Materialien liegen. Die Natur wird nicht mehr über ihr Abbild, sondern sozusagen de facto Teil des Kunstwerkes. Gerta Fietzek-Kröll gehört zu denjenigen, die an dieser Brücke bauen. Sie ist davon überzeugt, dass es sich lohnt, die Rolle als reiner Beobachter des Außenliegenden, der Natur aufzugeben. Das Arbeiten mit »natürlichen Bausteinen« soll helfen, die natürliche Unnatürlichkeit des künstlerischen Schaffens, seine Künstlichkeit zu überwinden.
Und dann ist da noch die politische Seite: Die Installation »Harvest«, die das Herz der Ausstellung im Siegburger Stadtmuseum bildet, ist ein typisches Beispiel, »Harvest« ist zunächst ein Feld. Es erstreckt sich auf dem Steinboden der Ausstellungsfläche auf rund 25 Quadratmetern. Wohl geordnet scheinen Getreidehalme Natur abzubilden, und in einem Farbspektrum, das sich von dunkelgrau über braun und hellbraun bis hin zu weiß erstreckt, fügt sich alles zu einem ästhetisch befriedigenden Ganzen. Beim genauen Hinschauen wird dann aber die Befriedigung von Unruhe abgelöst. Die Halme mögen aufrecht stehen, aber sie sind vertrocknet. Und aus dem Steinfußboden können sie natürlich auch nicht wachsen. Was sie aufrecht hält, sind zusammengerollte Hanf‑Säcke. Jedem Halm ist ein solcher Sack zugeordnet, und er hat genügend Fläche, um stehen zu bleiben. Stabil ist das allerdings nicht. Und dort, wo die Erde sein müsste, aus der all das wächst, dort ist Mehl verstäubt. Eigentlich stimmt nichts — außer der Ästhetik. Gerta Fietzek-Kröll hat diese Installation nicht zuletzt als politische Aussage konzipiert. Anlass für »Harvest« war eine der Perversionen moderner »Agrarindustrie«: In immer größerem Umfang werden Getreidesorten gezüchtet, die gute Erträge versprechen, die aber nicht als Saatgut geeignet sind. Dadurch sichern sich die Patentinhaber der jeweiligen Sorte das Monopol für Saatgut. Dort, wo, wie in der Dritten Welt, die Bevölkerung eigentlich darauf angewiesen ist, das Saatgut selber zu ziehen, entstehen wirtschaftliche Abhängigkeiten. »Harvest« ist damit eine Auseinandersetzung mit demThema der gentechnisch veränderten, »tauben« Pflanzen und mit den oft zynischen Mechanismen weltweiten Wirtschaftens.
Vergleichbare Ansätze verfolgt Gerta Fietzek-Kröll auch bei ihren Arbeiten mit Wolle. Hier geht es nicht nur um das Erleben des »natürlichen« Stoffes, um seinen Geruch und die Assoziationen, die er vielleicht erweckt. Es geht darüber hinaus um den widernatürlichen Umgang des Menschen mit diesem Rohstoff, der ihm Jahrhunderte lang geholfen hat zu überleben. So wird Wolle heute in weiten Teilen Deutschlands nach dem Scheren als Sondermüll entsorgt, denn einen Markt für das Produkt gibt es bei uns fast nicht mehr Auch die Arbeiten mit Wachs und toten Bienen — als wichtigste Werkgruppe sind die »Apis-Altäre« zu nennen — haben einen umweltpolitischen Aspekt: Der Fortbestand der Bienen ist durch die Varroa-Milbe gefährdet. Hier rächt sich menschliches Handeln an einem Tier, das die Menschheit seit ihren Anfängen genutzt hat. Die hoch gezüchteten und in einem weitestgehend künstlichen Umfeld lebenden Bienen sind so geschwächt, dass sie der Varroa-Milbe ausgeliefert sind. Die weltweite Vereinheitlichung des gesamten Systems verschließt die Auswege, die die Evolution möglicherweise bieten könnte, und macht das System insgesamt anfällig. Schließlich sei noch auf den politischen Aspekt vieler Arbeiten mit Pflanzen, Blüten und Samen verwiesen:
Wenn Gerta Fietzek‑Kröll Pflanzen mumifiziert, dann lässt sie sich dabei nicht nur vom künstlerischen Prozess leiten, untersucht nicht nur den Einfluss der Kunst auf die Natur und umgekehrt, sondern sie denkt auch an die ausufernden Züchtungen von Hybriden der unterschiedlichsten Pflanzenformen. Für den kurzfristigen Züchtungserfolg wird Varianz geopfert, werden die Pflanzen von einer natürlichen Fortentwicklung ausgeschlossen und verschwindet Art um Art.
Gerta Fietzek-Kröll zeigt, dass »politisch' Kunst« nicht »garstig' Kunst« sein muss. Das politische Anliegen ist so vielfältig mit einem ästhetischen und kunstsystematischen Programm durchwoben, dass es bei aller Eindeutigkeit nie dominiert, sondern sich der Kunst als sinnvoller Ergänzung beigesellt. Natürlich!